Unannehmlichkeiten

Eine Geschichte über die Risiken des Konzertlebens

Deutschlandtournee, 6. Januar 2001. München, Herkulessaal.
Die 12 Cellisten hatten lange nicht in München gespielt, und um 20 Uhr sollte das mit Spannung erwartete Konzert beginnen.

Es ist 19 Uhr 30.
Im Foyer ist nur ein Karten-Schalter besetzt (aus Kostengründen ...!), denn der Veranstalter rechnet nicht mit viel Andrang. Er hatte auch nicht damit gerechnet, dass es dem findigen PR-Manager der 12 Cellisten gelingen würde, in der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung termingerecht einen großen Artikel über das Ensemble unterzubringen. Vor der Abendkasse steht eine riesige Schlange. Hinter dem Garderobentresen versucht eine einzelne Dame (aus Kostengründen ...!) verzweifelt, dem Ansturm von Mänteln, Jacken, Hüten, Schirmen, Taschen und Rucksäcken Herr zu werden. Gut, dass dies den zuständigen Konzertagenten nicht aus der Ruhe bringt. Ab und zu an seinem Bier nippend, schaut er dem hektischen Treiben interessiert zu und unterhält sich gleichzeitig mit drei reizenden jungen Damen.

Es ist 20 Uhr.
Im halb gefüllten Saal wächst die Unruhe, denn eigentlich soll das Konzert jetzt beginnen.
Danach sieht es aber gar nicht aus. Alle Saaltüren sind weit geöffnet, und der Publikumszustrom hält munter an. Im Künstlerzimmer warten die 12 Cellisten angespannt auf ein Signal, dass sie die Bühne betreten können. Dabei sind sie froh, selbst auftrittsbereit zu sein: Auf der Zugfahrt von Hamburg nach München hatte sie die Botschaft erreicht, dass die Sopranistin Ana Maria Martinez, die auf der Tournee der 12 die Bachiana Brasiliera Nr.5 sang, plötzlich erkrankt sei.
Georg Faust: Ich rief vom Zug aus alle möglichen Agenturen an, aber es war Samstag, und bei allen lief nur der Anrufbeantworter. über verschiedene Opernhäuser erreichte ich einen Korrepetitor (Klavierbegleiter) in München. Es sollte möglichst wieder eine Südamerikanerin sein.
Aber alle waren beschäftigt, es war zu kurzfristig - wir hatten ja nur noch ein paar Stunden Zeit bis zum Konzert. Und es ist kein Stück, das jeden Tag drankommt. Mit glühenden Ohren erreichte ich schließlich eine Mexikanerin, die in München am Theater am Gärtnerplatz engagiert war und die einspringen konnte."

Es ist 20 Uhr 10.
Am Eingang spitzt sich die Lage dramatisch zu: Einzelne Besucher fangen an, sich gewaltsam einen Weg in den Herkulessaal zu bahnen, da es ihnen unmöglich scheint, noch rechtzeitig an ihre Karten zu kommen. An der Garderobe beginnen selbst seriöse Konzertgänger, über den Tresen zu klettern und ihre Mäntel selbst zu versorgen.

Es ist 20 Uhr 15.
Im Saal selbst herrscht ein einziger Tumult. Der Balkon sollte eigentlich geschlossen bleiben (aus Kostengründen ...!), und Leute, die Karten für den Balkon hatten, wurden ins Parkett geschickt. Dann war wegen der nicht versiegenden Publikumsflut der Balkon wieder geöffnet und das Parkett weiterverkauft worden, was dazu geführt hatte, dass Plätze im Parkett doppelt belegt waren. Dass der Balkon überhaupt wieder freigegeben wurde, war Olaf Maninger zu verdanken, der - anstatt sich einzuspielen - mit einem cellobegeisterten Feuerwehrhauptmann verhandelte, denn es waren nicht genug Feuerwehrleute (aus Kostengründen ...!) im Einsatz, um Parkett und Balkon gleichzeitig zu sichern.

Es ist 20 Uhr 30.
Endlich haben alle ihren Platz im ausverkauften (!) Saal, und auch die Cellisten sitzen endlich auf der Bühne. Sie blicken in gerötete Gesichter und abgekämpfte Frisuren. Eine völlig aufgelöste Veranstalterin erklimmt stolpernd die Bühne. Ihre Darbietung wird zum ersten Höhepunkt des noch nicht begonnenen Konzertes: "Meine ... (Pfiffe) sehr verehrten ... Damen und Herren, für die entstandenen Unannehmlichkeiten (Buh!!) möchte ich mich ... ganz herzlich ... be...danken!!" Gelächter, Kopfschütteln, Zwischenrufe: Der Herkulessaal ist ein Tollhaus.

Es dauert einige Zeit, bis sich die Gemüter beruhigen, und Georg fällt nun die dankbare Aufgabe zu, eine wichtige Ansage zu machen. Eines ist nämlich völlig in Vergessenheit geraten."Sehr geehrte Damen und Herren, ein Unglück kommt selten allein. Für das, was ich Ihnen jetzt zu sagen habe, können wir auch nichts ... (erwartungsvolle Stille) Die angekündigte Sängerin, Frau Martinez, ist erkrankt und hat vor drei Stunden abgesagt." Ungläubiges Staunen ... entgeisterte Blicke ... erste Konzertbesucher bahnen sich den Weg nach draußen. Die Situation scheint gänzlich aus dem Ruder zu laufen.

Georg erzählt hinterher:"Ana Maria ist eine wunderbare Sängerin, auf dem Weg zu Weltruhm, und viele waren extra wegen ihr ins Konzert gekommen. Einen kurzen Moment dachte ich, das Konzert müsse ausfallen. Wir konnten uns nur entschuldigen. Gott sei Dank hatten wir ja eine Ersatzsängerin ... Aber dann sind nur wenige Leute gegangen, die meisten wollten ganz einfach, dass es endlich losging. Die Stimmung im ersten Teil des Konzerts war dann noch ziemlich angespannt, aber im zweiten Teil kamen wir unheimlich in Schwung, und zum Schluss wurde es ein Riesenerfolg. Der ganze Aufruhr hatte uns emotional richtig angeheizt. Am Ende waren sich alle einig, ein ungewöhnliches Konzert erlebt zu haben!"