Der doppelte Ritterschlag

Südamerikanische Lorbeeren

Januar 2000. Die 12 Cellisten haben gerade ihre CD „South American Getaway“ eingespielt, die erste CD der »jungen« Gruppe. Man ist sehr zufrieden mit sich, „die war richtig gut geworden, wir waren alle völlig high, es war wie eine Wiedergeburt der 12 Cellisten“.

Im Mai begeben sich die Berliner Philharmoniker auf eine Südamerikatournee. Auch Buenos Aires steht auf dem Reiseplan. Nach dem Konzert mit der 3. Sinfonie von Gustav Mahler unter Claudio Abbado im herrlichen Teatro Colon möchte die durch ihre CD-Produktion vom Tangofieber infizierte Cellogruppe die Gelegenheit wahrnehmen, die Stadt als „Wiege des Tangos“ näher kennen zu lernen. In einer schummrigen Bar betreiben die philharmonischen Cellisten Feldforschung und beweisen schlaf- und trinktechnisch Ausdauer. Denn erst gegen zwei Uhr früh beginnen die argentinischen Tangomusiker, ihre leidenschaftliche Musik zu spielen. Stumm und schwermütig bewegen sich dicht gedrängt die tanzenden Paare. Bis etwa vier Uhr.

Plötzlich verstummt die Kapelle. Aus den Lautsprechern ertönt überraschend ein ganz anderer Klang. – Moment mal, das kennen wir doch!! – Jemand hatte dem Kellner eine frisch gepresste South-American-Getaway-CD in die Hand gedrückt: „ Könnten Sie vielleicht mal diese CD …?“ Es erklingt Horacio Salgáns A fuego lento – gespielt von den 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker. Kein Stocken, kein Aufschrei, kein Murren. Nein, die Leute tanzen ganz einfach weiter – etwas langsamer vielleicht, als das temperamentvolle philharmonische Tempo es will, aber sie akzeptieren es als ihren Tango: Ritterschlag Nr. 1.

Am nächsten Tag gibt die Firma EMI zu Ehren der 12 Cellisten einen Empfang, um ihre neue CD „South American Getaway“ zu präsentieren. Die 12 wollen dazu live einige Tangos spielen. Im Ballsaal des Interconti-Hotels treffen festlich gewandete Damen und Herren ein. Und da erscheinen wie aus dem Bilderbuch, in Gamaschen, mit Stock und Zwicker die Legenden des Tangos: Horacio Salgán, der hochbetagt auch jetzt noch in seiner Bar abendlich Tangos spielt, und José Bragato, der wunderbare Cellist aus dem Ensemble von Astor Piazzolla. Die Presse lässt sich diesen Auftritt natürlich nicht entgehen, auch das Fernsehen ist zugegen. „Nie waren wir so nervös“, werden die Cellisten später erzählen. Klingt der philharmonische Kunsttango authentisch genug? Zu schnell? Zu deutsch? Zu schwer? Alles wird gut. Kein Kopfschütteln, kein schmerzliches Aufseufzen, kein vorzeitiger Aufbruch. Im Gegenteil: Das Publikum ist begeistert und die argentinischen Meister des Tangos zeigen sich überaus herzlich und loben Spiel und Arrangements der 12: Ritterschlag Nr. 2.

Die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker

Epilog

Von Claudio Abbado konnte man bislang eher vernehmen, dass Heitor Villa-Lobos ein von ihm nicht so besonders geschätzter Komponist sei. Die Bachianas Brasileiras seien sicher sein bestes Stück, aber … Bis ihm Georg Faust auf der Reise die neue CD der 12 Cellisten in die Hand drückt. Abbado hört sie sich an – und ist plötzlich Feuer und Flamme: „Die Aria von Villa-Lobos können wir doch als Zugabe spielen!“ Das Orchester ist inzwischen im brasilianischen Rio de Janeiro gelandet. Das dortige Konzert endet mit einer umjubelten 7. Sinfonie von Beethoven, und energisch verlangt das Publikum nach einer Zugabe. Da betritt eine (extra engagierte) Sängerin die Bühne. Sie stellt sich vor die Cellisten, Claudio Abbado hebt den Taktstock. Es erklingt die Aria aus den Bachianas Brasileiras. „Das Publikum reagierte enthusiastisch, die Leute waren völlig ergriffen, und erst danach wurde uns klar, dass wir ja die heimliche Nationalhymne Brasiliens gespielt hatten“, erzählt Georg später. Und neben all dem Lob und Applaus gibt es eine Belohnung: Claudio Abbado lädt die gesamte Cellogruppe in Rio zum Essen ein! Ritterschlag Nr. 3.